Die fünf Elemente
in der chinesischen Medizin
Artikel 4 von 6, zuerst veröffentlich in der Zeitschrift "Natur und Heilen"
(4. Teil)
Das Element Wasser
Welches Prinzip unterliegt in der traditionellen chinesischen Medizin dem Wasserelement? Wie sieht der Wassertyp aus? Diese Fragen beantwortet Rafaela Allgöwer im vierten Teil unserer Serie.
Wasser ist ein unverzichtbarer Teil des Ganzen, das weder für sich alleine bestehen kann, noch kann das Ganze ohne Wasser bestehen. Zunächst ist Wasser nur ein Potential, das im Gebirge zum Gletscher oder zu Schnee erstarrt ist. Der Winter, die Kälte, die Dunkelheit und die Farben dunkelblau und schwarz werden dem Wasser zugerechnet. Erst mit dem Feuer des Frühlings erwacht es zum Leben, rauscht in klaren, grünen Wildbächen hinunter in die Ebenen, bewässert die Erde, bringt fruchtbaren Boden mit sich, wird langsam ruhiger, zum stillen See, zum breiten Fluß, mündet endlich in den Ozean. In den Tiefen des Meeres finden wir wieder Wasser, das ohne die anderen Elemente existiert: salzig, kalt, dunkel, ewige Nacht, ewige Stille.
Wasser in Harmonie; Im Einklang sein mit der Natur
Wasser steht für unser tiefstes Inneres, das von Gedanken und Gefühlen
unberührt bleibt, wo nur noch Stille ist. Eine Stille, die wir, unbewußte
Menschen, nur selten ahnen. Ein Potential, das wir kaum kennen, kaum nutzen.
Wichtig ist, es zum Fließen zu bringen, mit ihm zu fließen.
Tatendurstig und kreativ wie das Holz sind wir auf der Suche, bis die Klarheit
des Metalls hinzutritt und uns unsere Meditation finden läßt,
die wir mit Disziplin durchführen, so daß sich mehr und mehr das
Feuer der Wachheit und Bewußtheit entwickelt.
Je mehr unser Wasser ins Fließen kommt, umso mehr erschließt
es uns die Fruchtbarkeit der Erde, die wir immer heiterer genießen.
Manchmal bleiben wir irgendwo stecken, dann werden wir wie Wasser, das in
einem Tümpel anfängt zu faulen und zu verderben. Manchmal streben
wir aber auch nach solcher Reinheit, daß wir wie destilliertes Wasser
werden, bar jeder Lebendigkeit.
Entgehen wir diesen Fallen, wird unser Bewußtseinsstrom immer breiter,
immer mächtiger, mündet schließlich in den Ozean, aus dem
es verdunstet, sich auflöst ins Formlose, alles hinter sich laßt,
sich vollständig dem Ganzen hingibt. Dies ist der endgültige Tod
der Persönlichkeit und zugleich höchste Glückseligkeit: Einssein
mit dem Ganzen. Dies ist ein anderer Tod als der Tod des Körpers. Es
ist vielmehr ewiges Leben.
Einer Frau war ihr einziges Kind gestorben. Weinend und verzweifelt kam sie
zu Buddha und bat ihn, ihr Kind wieder zum Leben zu erwecken. Buddha lächelte
und sagte: „Geh in die Stadt und besorge dir dort ein paar Senfkörner
aus einem Haushalt, in dem noch nie jemand gestorben ist. " Den ganzen
Tag lief sie von Haus zu Haus, aber überall hatte es Todesfälle
gegeben. Schließlich ging ihr ein Licht auf: „Der Tod ist ein
Teil des Lebens. Er kommt einfach. Es ist nichts Persönliches, kein
persönliches Unglück, das mir zugestoßen ist." Sie ging
zu Buddha und bat um Aufnahme in seine Jüngerschaft: „Lehre mich,
damit ich das in mir selbst kennenlerne, was niemals stirbt."
Mut und Beharrlichkeit - die beiden wichtigsten Eigenschaften des Wasserelements - bringen uns zu einem Meister wie Buddha und lassen uns konsequent unseren Weg gehen. Und welch eine Freude ist es, immer wieder Augenblicke des Einklangs mit dem Ganzen zu erfahren, wie der Dichter der Gedichtsammlung Han Shon Li:
Grüner Wildbach - Klar der Quelle Wasser.
Kalter Berg - Weiß des Mondes Hof.
Schweigende Erkenntnis, der Geist von selbst erleuchtet.
Die Leere schauend, geht Wahn in Stille über.
Sich dem Fluß des Lebens hingeben
Typische Wasserhand mit flachem,
nach unten gebogenem Fingernagel
Aus seinem tiefsten Innern heraus bewegt sich der Mensch,
der in Harmonie mit seinem Wasserelement ist, im Einklang mit dem fließenden
Lauf der Natur. Er kämpft nicht gegen den Strom an, sondern fließt
mit dem Fluß des Lebens, wie auch das Wasser immer den Berg hinunter
fließt, sich ohne Anstrengung der vor-gegebenen Form anpaßt und
doch die mächtigste Naturkraft ist. Im Lauf der Zeit trägt es Gebirge
ab, schafft tiefe, breite Flußtäler, häuft Schwemmland an
und rundet mächtige Felsbrocken, bis sie schließlich zu Sand werden.
Gewaltiges entwickelt sich, weil das Wasser kein „Macher" ist,
nichts „tut", sondern nur geschehen laßt Hier offenbart
sich höchste Weisheit, „WuWei", „Tun, das geschieht".
Das Ganze wirkt durch den Menschen hindurch, er setzt ihm keinen Widerstand,
kein Ego entgegen und alles läuft harmonisch und richtig.
Ein kleiner Einblick ins Wu-Wei ist uns im Sex geschenkt: Dem Strömen
unserer Körper geben wir uns mit allen Sinnen hin, verschmelzen zu einer
Einheit in einem wirklichen Orgasmus, erleben etwas wie einen kleinen Tod,
lassen los.
Um wieviel schöner muß dann das Verschmelzen mit dem Ganzen sein!
Auch Hören ist kein „Tun", es geschieht von selbst. Das Ohr
ist wie eine offene Tür, es läßt einfach zu, daß Töne
eindringen. Töne sind immer in der Gegenwart, immer im Jetzt, so daß uns intensives
hören aus unserem immer mit Vergangenheit oder Zukunft beschäftigten
Verstand herausbringen kann in die Unmittelbarkeit des Jetzt, zum Einklang
mit dem Ganzen. Musik ist der Stille am nächsten.
Wasser in Disharmonie: sich im Haltlosen verlieren
Wasser ist jederzeit bereit, zu verdunsten, sich aufzulösen, in der
Erde zu versickern, sich dem Wind als Welle hinzugeben. Und doch bleibt das
Wasser der Welle immer an derselben Stelle, läßt sich nicht vom
Wind wegtreiben. Im Regen, als Quelle, im Pflanzensaft kommt das Verschwundene
gereinigt und veredelt wieder zum Vorschein: Es ist immer Wasser geblieben,
sich selbst treu.
Ohne diese Integrität wird aus Hingabe ein „Verschwimmen",
ein Sich-im-Äußeren-verlieren, ein willenloses, haltloses Sich-von-anderen-beeinflussen-lassen.
Man paßt sich den Stimmungen, der Meinung, dem Tun und Wollen anderer
an. Aus Unentschlossenheit wird tiefe, innere Angst und Verzweiflung.
Andere verlieren sich in Drogen. Sie möchten verschmelzen, völlig
loslassen, haben aber nicht den Mut und die Beharrlichkeit zur Meditation
und vernebeln in einem falschen, chemisch erzeugten Glückszustand.
Körperliche Zeichen für mangelnde Integrität des Wassers sind
Schmerzen im unteren Rücken und im Knie, Kältegefühl in der
Wirbelsäule, morgendlicher Durchfall, Inkontinenz des Harns oder zu
häufiges Wasserlassen, Impotenz oder Sterilität.
Wenn wir nicht mehr loslassen können, uns nicht mehr hingeben und in
andere hineinfühlen können, werden wir egoistisch. Wir achten nur
noch auf uns selbst und kommandieren die anderen herum. Aus Mut wird Übermut,
ein tollkühner Draufgänger, der rücksichtslos nicht mehr auf
das Ganze hört, der dem Fluß des Lebens nicht mehr lauscht. Schließlich
bekommt er Ohrensausen oder wird schwerhörig. Andere Symptome sind heiße
Füße, schlechte Zähne, zu wenig Urin oder eine zu frühe
Ejakulation.
Generell zeigt sich eine Schwäche des Wasserelements zuerst durch schwarze
Ringe unter den Augen, Angst, stumpfe, brüchige Haare, die schnell ergrauen.
Eine Disharmonie im Wasser beeinflußt sehr schnell den ganzen Menschen
und äußert sich dann in typischen Metall-, Holz- oder Feuersymptomen.
Der Wassertyp
Blasenmeridian
Wenn Sie feststellen wollen, ob Sie selbst oder jemand aus Ihrer Bekanntschaft ein aus geprägter Wassertyp sind, möchte ich Ihnen jetzt einige typische Merkmale nennen:
langsame, zögernde oder ungelenke, abgehackte Bewegungen, Schüchternheit, häufiges Erröten, eine leicht gräuliche Gesichtsfarbe, große, feuchte Augen, dicke Augenbrauen, ein liebes Gesicht, leise Stimme. Die Hand ist kurz (siehe Abbildung) und fühlt sich weich an. Wenn man die Haut auf den Fingergelenken zusammendrückt, bleibt sie senkrecht stehen. Die stehende Falte verschwindet erst beim Abbiegen der Finger. Die Fingernägel bilden ein Trapez, sind flach und biegen sich nach unten.
Akupunktur
Über die beiden Meridiane TSOU SHAO YIN und TSOU TAE YANG (Beinmeridian
des kleinen Yin und Beinmeridian des großen Yang), die im Westen Nieren-
und Blasenmeridian genannt werden, und über zahlreiche weitere Punkte bringt
Akupunktur das Wasser wieder in Harmonie, wieder zum Fließen.
Niere und Blase, Knochen mit ihrem Mark, Knie, Knöchel, Zähne,
Kopfhaar, Nebenniere und Ohren können wiederhergestellt werden und damit
werden gleichzeitig Mut, Beharrlichkeit, Geduld, Integrität und Hingabe
gestärkt
So wie Wasser die Sonnenenergie noch lange speichert, speichert das Wasserelement unsere Lebensenergie. Und zwar jene Lebensenergie, die wir aus Nahrung und Luft selbst produzieren und jene, die uns von unseren Eltern übertragen wurde, die also nicht erneuerbar ist. Die Menge und der pflegliche Umgang mit dieser Energie bestimmt unsere Lebenslänge. Auch deshalb ist ein harmonisches Wasserelement besonders wichtig.
Nierenmeridian
Übungen zur Harmonisierung des Wasserelements
Der heilende Laut und die heilende Farbe
Setzen Sie sich aufrecht auf eine Stuhlkante,
die Füße etwa schulterbreit auf dem Boden. Spüren Sie Ihre
Nieren (rechts und links der Wirbelsäule in der Höhe der untersten
Rippen; und die Verbindung zwischen Nieren und Ohren. Atmen Sie tief ein
und lassen Sie mit dem Atem blaues Licht und damit Mut, Beharrlichkeit, Integrität
und Hingabe in Ihre Niere eindringen.
Atmen Sie mit dem Laut „ffffffffff" aus und stellen Sie sich vor,
daß ein Sack um die Nieren ist, der alle schlechte Energie, Angst,
Unentschlossenheit oder Egoismus zusammen mit dem Laut aus den Nieren drückt.
Machen Sie diese Übung mindestens zwei Minuten lang, bei einer Disharmonie
im Wasser zehn Minuten lang. Am besten führen Sie diese Übung nach
den entsprechenden Übungen für Feuer, Erde und Metall durch (Siehe
die letzten drei Ausgaben von NATUR & HEILEN).
Das Zentrum der Geräusche, eine Meditation des Hörens
Setzen Sie sich irgendwo bequem hin
und hören Sie mit geschlossenen Augen den Geräuschen zu, die
Sie umgeben. Spüren Sie, daß das ganze Universum mit Lauten
erfüllt ist. Sie kommen von überall her, aus allen Richtungen
in kreisförmigen Wellen auf Sie zu und Sie sind ihr Zentrum. Wo immer
Sie sich befinden, Sie sind immer das Zentrum der Geräusche. Denken
Sie nicht über die Geräusche nach, bewerten Sie sie nicht als
angenehm oder unangenehm. Sobald Sie merken, daß Gedanken Sie ablenken,
seien Sie dankbar daß Sie es gemerkt haben und gehen Sie zurück
zu den Geräuschen, zu dem Gefühl, das Zentrum der Geräusche
zu sein.
Sie können diese Übung immer und überall machen, wenn Sie
ein wenig Zeit haben, einmal am Tag sollten es aber 20 Minuten bis eine Stunde
sein. Die Erfahrung, das Zentrum der Geräusche zu sein, wird Sie näher
zu Ihrem eigenen Zentrum führen und Ihnen einen tiefen Frieden schenken.
Autoren: Rafaela Allgöwer und Kavi G. Lindemann
NATUR & HEILEN